Teil 25

Sonntag, 25. Dezember

Es war genau Null Uhr. Der Schlitten des Weihnachtsmanns überflog genau in diesem Moment die Datumsgrenze.
»Jetzt geht es los.«, rief Klaus grinsend.
Dann schnappte er sich das erste Päckchen, steuerte über eines der Häuser und mit einem lang geübten Sprung ging es hinab in den Kamin.
»Du meine Güte.«
Nicki stockte der Atem.
»Hoffentlich hat er sich nichts gebrochen.«
Vorsichtig sah er nach unten und versuchte, den Weihnachtsmann zu entdecken. Doch da raste ihm bereits etwas Rotes entgegen.
»Huiii!«, machte er und landete wieder auf seinem Platz.
»Da kannst du mal sehen, wie schnell das geht.«
Klaus nahm die Zügel in die Hand und steuerte das nächste Haus an. Nach und nach flogen sie von einer Insel zur nächsten. Sie klapperten immer neue Länder ab und näherten sich über die einzelnen Zeitzonen Europa.
»Da vorn ist die deutsche Grenze. Gleich werden wir alle deine Freunde und Schulkameraden beschenken.«
In diesem Moment wurde Nicki ganz hibbelig. Nur zu gern wäre er selbst in einen der Kamine gehüpft, traute sich aber nicht zu fragen.
»Dann lass mich mal schauen, wer als nächstes auf der Liste steht.«, murmelte Klaus und sah in sein goldenes Buch.
Doch Nicki wusste es bereits. Das große Haus kannte er nur zu gut.
»Dort wohnt Max Lehmann.«, sagte er traurig
Klaus nickte.
»Hey, du bist gut. Woher weißt du das?«
Doch dann fand er den Eintrag im Buch.
»Oh, ich verstehe. Das ist der Junge, der dich ein Baby genannt hat, nur weil du noch an mich glaubst. Also bekommt er dieses Jahr wohl kein Geschenk. Er war nicht artig genug?«
Der Weihnachtsmann sah den Jungen fragend an, der ein paar Sekunden nachdachte.
»Ist schon in Ordnung. Mittlerweile weiß ich ja, dass es dich gibt. Ich verzeihe ihm. Machen wir ihm ein Geschenk. Es ist schließlich Weihnachten und er soll Morgen nicht enttäuscht sein.«
Klaus grinste.
»Das wollte ich nur von dir hören. Du bist wirklich ein guter Junge. Dann machen wir uns mal auf den Weg.«
Er packte Nickis Hand und stürzte sich mit ihm in die Tiefe. Sie rutschten durch den Kamin ins Haus und standen kurz darauf in Max Zimmer.
»Was machen wir hier?«, flüsterte Nicki.
»Ich dachte, wir legen das Geschenk unter den Baum, essen Kekse, trinken Milch und verschwinden wieder.«
Aber Klaus schüttelte den Kopf.
»Wolltest du ihm nicht beweisen, dass es mich gibt? Jetzt hast du die Chance dazu.«
Und schon schüttelte er den Jungen im Bett aus dem Schlaf.
»Hilfe! Was ist denn hier los? Wer seid ihr?«
Max bekam Angst. Doch dann erkannte er Nicki trotz des Bartes.
»Was soll denn die Nummer? Ich ruf die Polizei.«
Doch da hatte er die Rechnung ohne den Weihnachtsmann gemacht.
»Dann musst du aber auch deinen Eltern erklären, woher dein eigener Weihnachtsbart stammt.«
Er tippte Max ins Gesicht, hüllte den Jungen in ein helles Glitzern und ließ ihm einen langen weißen Bart wachsen.
»Du bist es wirklich? Du bist der Weihnachtsmann?«
Klaus nickte.
»Ja, ich bin es. Du kannst mich aber ruhig Klaus nennen.«
Max stockte der Atem, während der Bart in seinem Gesicht langsam verschwand. Doch dann brach er plötzlich in Tränen aus.
»Ich wusste es. Ich habe es immer gewusst. Ich habe Nicki nur deswegen so aufgezogen, damit niemand merken konnte, wie enttäuscht ich selber war. Mein Bruder hat mir vorgelogen, dass es dich gar nicht gibt. Ich war …«
Er konnte nicht mehr weiter sprechen. Er schluchzte vor Glück und Erleichterung und drückte sich an den dicken Bauch des Weihnachtsmanns.
»Keine Ursache, mein Junge. Wir wünschen dir alles Gute und fröhliche Weihnachten.«
Er schüttelte Max noch einmal die Hand, bevor er sich mit Nicki wieder auf den Weg machte.

Die nächsten Besuche in der Stadt verbrachten Nicki und Klaus schweigend. Doch Nickis Lächeln sprach Bände. Irgendwann begann er dann das erwartete Gespräch.
»Du hast es die ganze Zeit gewusst. Habe ich Recht?«
Klaus machte ein unschuldiges Gesicht.
»Iiich? Gewusst? Niiiemals.«
Und dann musste er sich vor Lachen den Bauch halten.
»Halt dich bereit. Wir müssen das nächste Geschenk ausliefern. Es ist was ganz Besonderes.«
Der Weihnachtsmann griff in den Sack und holte ein seltsam geformtes Paket hervor.
»Was soll denn das sein?«
Nicki wurde neugierig.
»Vielleicht kannst du es ja erraten. Denn jetzt ist es deine ganz persönliche Aufgabe, es zu überbringen.«
Der Junge verstand zuerst nicht. Doch dann sah er unter sich das Haus von Leons Familie.
»Hast du etwa seinen Brief und meine Antwort gelesen?«
Klaus nickte.
»Und ich hielt es sofort für meine Pflicht, dir dabei zu helfen. Ich kenne da nämlich jemanden, der mit noch einen Gefallen schuldig ist.«
Nicki grinste.
»Dann steckt da drin …?«
Er beendete seine Frage nicht. Stattdessen griff er sich das Paket und sprang furchtlos in den Kamin. Auf leisen Zehenspitzen schlich er sich in das Zimmer seines Freundes und weckte ihn.
»Mensch Nicki. Was machst du denn hier?«, fragte Leon.
»Der Weihnachtsmann hat mich zu dir geschickt. Er war der Meinung, dass ich dir dein Geschenk persönlich bringen soll.«
Leon verzog beleidigt das Gesicht.
»Nimm mich bitte nicht auf den Arm. Heute ist Weihnachten. Da kann ich das echt nicht brauchen.«
Doch da bekam er plötzlich riesige Augen, als vor seinem Fenster der Schlitten herab schwebte.
»Wenn ich vorstellen darf. Das ist Klaus, der Weihnachtsmann.«
Nicki wollte keine Zeit vergeuden und zog das Geschenk heran. Mit einem Ruck entfernte er das Papier und sah ihn nun auch zum ersten Mal vor sich. Leon blieb die Spucke weg.
»Das glaub ich jetzt nicht.«
Da musste ihm sogar Nicki bepflichten.
»Dann muss ich mich wohl selbst vorstellen.«, sagte der Osterhase.
»Ich bin der Osterhase. Aber zur Feier des Tages dürft ihr Mümmel zu mir sagen.«
Hätte jetzt jemand an der Tür gelauscht, hätte man drei lachende und glückliche Stimmen hören können.
Kurz darauf machte sich Nicki wieder auf den Weg durch den Kamin hinauf in den Schlitten.
»Mümmel hat mir gesagt, wir sollen ihn am Ende der Tour auf unserem Rückweg abholen.«
Klaus war einverstanden.
»So hatte ich es mit ihm abgesprochen.«
Und schon ging die wilde Fahrt weiter um die zweite Hälfte der Erde.

Nach vierundzwanzig Stunden waren endlich alle Geschenke verteilt und der Sack des Weihnachtsmanns geleert. Nun stand ein allerletzter Besuch auf der Liste. Erneut steuerten sie Deutschland an. Dort war es mittlerweile hell geworden. Der Vormittag hatte begonnen.
»Ich muss dich noch zu Hause abliefern. So hatte ich es mit deiner Oma abgesprochen.«
Nicki lächelte glücklich und drückte sich an Klaus.
»Vielen Dank für alles. Du hast mich zum glücklichsten Menschen der ganzen Welt gemacht.«
Der Weihnachtsmann kramte in seiner Manteljacke und holte einen altertümlichen Fotoapparat hervor.
»Ja, ich weiß.«, sagte er entschuldigend.
»Es gibt heutzutage digitale Geräte. Aber irgendwie komme ich damit nicht zurecht. Mir ist meine alte Kamera einfach lieber.«
Er sah Nicki fragend an.
»Du willst doch immer noch ein Beweisfoto von mir?«
Nicki schüttelte den Kopf.
»Mir reicht es völlig, dass wir so viel Zeit zusammen verbringen konnten. Mehr Beweis brauche ich nicht.«
Sie verabschiedeten sich. Nicki sprang ein letztes Mal aus dem Schlitten und landete im Kamin seines eigenen Hauses. Als er im Wohnzimmer angekommen war, sah er sich seinen Eltern gegenüber, die gerade die letzten Vorbereitungen für das Fest trafen. Erschrocken sahen sie ihren Sohn an. Mit so einer Überraschung hatten sie nicht gerechnet.
»Ho ho ho?«
Mehr fiel Nicki nicht ein. Doch da bekam er Hilfe von draußen. Ein lautes Ho ho ho war von dort zu hören. Seine Eltern liefen zum Fenster und sahen noch gerade eben den Schlitten mit dem Mann im rotweißen Mantel Richtung Norden fliegen.
Nickis Mutter stolperte rückwärts in den Sessel.
»Ich fasse es nicht.«, stotterte sie.
»Der Junge hatte die ganze Zeit recht.«
Überglücklich trat Nicki an das Fenster und sah Klaus noch eine Weile nach.
»Ich bin gespannt, was du zu meinem Weihnachtsgeschenk sagen wirst.«, murmelte er noch vor sich hin.

(c) 2016, Marco Wittler

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